Paul Schäfer
Warum die Friedensbewegung sich als aufklärerisch verstehen und von irrationalen „Wutbürgern“ unterscheiden muss
21.12.2014

Paul Schäfer
Bei den Auseinandersetzungen in der Friedensbewegung, die sich auch in heftigen Debatten in der linken Szene widerspiegeln, geht es nicht darum, wer für oder gegen Friedensdemos, wer für oder gegen breite Bündnisse ist. Es geht exakt darum, ob die von einem Teil der führenden Friedensaktivisten verfolgte politische Linie der Öffnung zur sog. „neuen Friedensbewegung“ angebracht und weiterführend ist, oder ob sie im Gegenteil auf einen Irrweg führt. Unter dieser neuen Friedensbewegung werden die „Mahnwachen“ (auch Montagsdemos genannt), die sich seit einiger Zeit gebildet haben und dabei gegen eine, so ihre Sicht, von der aggressiven Politik der NATO ausgehende Kriegsgefahr auftreten. Unter der Überschrift „Friedenswinter“ sollen sich nun alte Friedensbewegung (wer ist das?) und neue Bewegung vereinen.
Es wird dabei auch von den Befürwortern des Friedenswinters innerhalb der Linken nicht gänzlich bestritten, dass sich unter den Anführern und Teilnehmern/innen auch zwielichtige Personen befinden, deren antisemitische, irrational-esoterische, verschwörungstheoretische Tendenzen man nicht teilen könne. Und man besteht auch dort darauf, dass man sich bei gemeinsamen Aktionen klar von Neonazis distanzieren müsste. Zusammengehen könne man aber, weil die Wut derjenigen, die begonnen hätten, sich zu engagieren, „auf die da oben“ und deren Ängste vor dem Großen Krieg nur allzu verständlich wären.
Aber zeigen diese Stimmungslagen nicht, dass es doch eine gewisse Parallelität von PEGIDA und Mahnwachenbewegung geben könnte? Es versammeln sich offenkundig Leute, die nicht unbegründet frustriert sind, die Zukunftsängste haben, weil sie sich an den Rand gedrängt sehen, die nicht zu unrecht, erzürnt sind über die Schlechtigkeit der Welt. Eine solche Einschätzung ist noch lange nicht mit einer politischen Bewertung verbunden. Sie verweist nur auf das bestehende Problem hin: Das neue „Wutbürgertum“ ist anfällig für schlichte Zuschreibungen und vermeintlich einfache Lösungen – und damit anfällig für die raffiniert gewordenen Versuche der Neuen Rechten, die begonnen haben, in diesem Milieu systematisch zu fischen. Die Naivität, mit der Teile der Friedensbewegung über dieses Problem hinweggehen, ist besorgniserregend. Der Schluss, der aus dieser Problemskizze zu ziehen wäre, kann doch nur lauten: Wir müssen uns als Linke und Friedensbewegte mit diesen Denk- und Bewusstseinsformen kritisch auseinandersetzen. Das bedeutet gewiss auch, dass es richtig ist, mit Einzelnen, die da aktiv werden, ins Gespräch kommen. Und es bleibt zentral – gerade mit Blick auf PEGIDA –, von den Regierenden und allen Parteien zu fordern, endlich den Protest gegen ungerechte und unzumutbare Verhältnisse in dem Sinne ernst zu nehmen, dass man sich den Ursachen des Protestes, der schreienden sozialen Ungerechtigkeit und der Aushöhlung der Demokratie zuwenden muss.
Aber müssen wir alles, was da hochkommt, „verstehen“? Also auch die Suche nach Sündenböcken für die Misere, an die sich deren pauschale Identifizierung anschließt: „die Politik“, „die Medien“, „die Amis“, „die Banken“, „die Ausländer“, und am Ende wieder „die Juden“? Nein und nochmals nein. Wenn Bürgerinnen und Bürger, zumal aus Regionen, in denen es kaum Asylbewerber und kaum Zuwanderer gibt, ihren geharnischten Protest an „den Fremden“, „den Islamisten“ ablassen, dann habe ich dafür keinerlei Verständnis. Diesem Protest stelle ich mich entgegen.
Aber ist es nicht verzerrend, ja verunglimpfend, die Dresdner Demonstranten mit der Mahnwachenbewegung in einem Atemzug zu nennen? Ich behaupte keineswegs, dass es sich um ein und dieselbe Sache handelt. Aber wir sollten schon sehr sorgfältig auf zwei Dinge achten: Für was stehen tragende Personen in den jeweiligen Aktionen bzw. Aktionsbündnissen? Und welche Stimmungslagen kommen in diesen Bewegungen zum Vorschein, die in eine bestimmte politische Richtung umkippen können?
Zum ersten Punkt mag ein Beispiel genügen:
Einer der Co-Gastgeber der wöchentlichen Montags-Mahnwachen in Berlin, Ralf Schurig, der den Internet-Blog „Spiritualität des Alltags“ betrieben hat, schrieb dort:
„Was das deutsche Volk erlitten hat ist in meinen Augen schon lange nicht mehr fair. Ich leugne nicht, dass es einen Holocaust gab und ich empfinde tiefe Trauer für die vielen Gestorbenen. Die Leugner sitzen auf einer ganz anderen Bank. Es wird geleugnet, dass es nach dem zweiten Weltkrieg einen zweiten Holocaust gab, nämlich an den deutschen Kriegsgefangenen. Wer es liebt, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellen, der mag sich das Thema „Rheinwiesenlager etwas näher ansehen.“
Wer es nicht weiß: Seit sechs Jahren marschiert die NPD und andere Neonazis Ende November in Remagen auf, um dieses vermeintlichen „Massenmordes an deutschen Soldaten“ zu gedenken. Mehr gefällig?
Das Beispiel zeigt auch, dass der öfter zu hörende Hinweis, die Vertreter der „Mahnwachen“ hätten sich ja bei den Demo-Aufrufen klar gegen Faschismus und Krieg positioniert, ins Leere geht. Die Neue Rechte hat längst kapiert, dass sie mit offenem Nazi-Bekenntnis, der Holocaust-Leugnung usw. gar nichts gewinnen kann. Daher ist der Türöffner für ultrarechte Gesinnung, dass „die Anderen“ mindestens so schlimm oder schlimmer seien – wie heute die Juden gegenüber den Palästinensern.
Schurig soll sich zuletzt aus der Politik etwas zurückgezogen haben. Ändert das was?
Zum Zweiten, und dazu soll im Folgenden argumentiert werden, geht es schlicht um die Frage, inwieweit in der neuen Melange aus „alter und neuer Friedensbewegung“ nicht anti-aufklärerische, Trends aufkommen, die einer Öffnung nach rechts, genauer: nach ganz rechts, den Weg bahnen.
Die Befürworter des Friedenswinters in den hergebrachten Friedensinitiativen verweisen gerne darauf, dass es schon in der breiten Friedensbewegung der achtziger Jahre schräge/esoterische/bräunliche Elemente gegeben habe, die man nun mal tolerieren müsse, die aber letztendlich nicht weiter ins Gewicht gefallen seien. Das ist sicher richtig. Aber damals hat es sich um eine breite gesellschaftliche Bewegung gehandelt, in der diese Personengrüppchen in der Tat keine Rolle spielten. Heute wird diese Breite nur simuliert, die Wortführer der Mahnwachenbewegung geben den Ton an (Bei der Kundgebung in Bochum stellten sie die Hälfte der Redner/-innen.)
Und vor allem, wer so spricht, der vernebelt schlicht den entscheidenden Unterschied: Die damalige Friedensbewegung, mit der sich entwickelnden Friedensforschung im Rücken, hat, auch wenn in ihr Ängste, auch irrationale, eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten, vor allem eine aufklärerische Funktion gehabt: Über die Verselbständigung des militärisch-industriellen Komplexes („Rüstungsautismus“), über den Irrsinn der Abschreckungsphilosophie bis zur konkreten Aufdeckung der Waffenpotenziale in Ost und West. In der Folgezeit entwickelten sich fachbezogene Friedensinitiativen (NaturwissenschafterInnen, InformatikerInnen, Kulturleute…), die darüber aufklärten, wie sich Militarismus und Krieg auf ihre Fachdisziplinen auswirkten und welchen Beitrag sie umgekehrt für den Frieden leisten könnten. Von einer solchen aufklärerischen Arbeit kann heute keine Rede sein, was nicht weiter verwundern muss - andere Zeiten, andere Umstände.
Ich behaupte allerdings: Das Schlimme jedoch ist, dass weite Teile der sehr klein gewordenen heutigen Friedensbewegung heute vor allem vom Ressentiment, vom Angstgefühl, von einem Drang zu einer schlichten Einteilung der Welt in Gut und Böse lebt Ich will das auch beispielhaft begründen:
Es ist anti-aufkärerisch, wenn, so der Tenor einiger Reden am letzten Samstag, behauptet wird, wir befänden uns in der Phase einer unmittelbaren Kriegsvorbereitung durch die NATO.
Gestützt wird dies darauf, dass die NATO für Polen und das Baltikum eine Schnelle Eingreiftruppe mit dem zugegeben martialischen Namen „Speerspitze“ aufstellen will. Es gehört nicht viel militärischer Sachverstand dazu, um zu sehen, dass diese 4.000 (in Worten: viertausend) Mann starke Truppe für die Russische Föderation keine Bedrohung darstellt. Russland ist auch militärisch nicht mehr besonders Furcht einflößend, aber so schwach ist es nun wirklich nicht. Polen wollte, dass die Nato zwei komplette Panzerbrigaden dauerhaft an der Grenze zu Russland stationiert. Das hat der NATO-Gipfel abgelehnt. Das mag man verschwörungstheoretisch so deuten, dass die Nato ihre Kriegsvorbereitung besonders geschickt tarnen will…
Ein großer Krieg, d.h. unmittelbar zwischen NATO und Russland, steht auf absehbare Zeit nicht an. Was in der Ukraine geschieht, bleibt ein Stellvertreter-Krieg (aber nicht nur) und das ist schlimm genug. Denn die NATO wird in den nächsten Monaten Ausrüstung und Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte vorantreiben, und damit eine kompromisslose Regierung in Kiew unterstützen, die möglicherweise im Frühjahr eine militärische Entscheidung herbeiführen will.
Immerhin gibt es auf der anderen Seite Signale, dass Moskau die Kräfte im Donbass, die auf Lostrennung und Anschluss an RUS drängen, an die Kandare nehmen will, das würde zumindest die Chance auf einen Verhandlungsfrieden erhöhen (was aber nebenbei auch belegt, dass bisher nicht nur einseitig gezündelt und eskaliert wurde).
Die Folgen der westlichen Eskalationspolitik unterhalb der Schwelle eines direkten Krieges für Russland, die Ukraine, aber auch im Westen selbst sind im übrigen schlimm genug. Das betrifft allein schon die volkswirtschaftlichen Kosten: Die Konjunktur lahmt, die Austeritätspolitik wird fortgesetzt, jetzt sollen noch die Rüstungslasten vermehrt werden; RUS und UKR werden noch lange Zeit unter der zerstörerischen Wirkung des Gewaltkonflikts bzw. der Sanktionen zu leiden haben. Hinzu kommen die Folgen der Konfrontation für andere Konflikte mit globalen Wirkungen – die Blockade der UNO ist schon heute ein Element der Konfliktverschärfung statt ihrer diplomatischen Bearbeitung. All dies ist Grund genug, laut gegen diese Form der Konfrontationspolitik aufzustehen. Insofern gibt es genug Gründe für einen Friedenswinter. Die irrationale Angstmache gehört aber nicht dazu.
Und hier sind eben die Berührungspunkte zwischen Teilen der Friedensbewegung und den mal esoterisch, mal neurechts angehauchten apokalyptischen Szenarien, die im Internet als Warnung vor dem Dritten Weltkrieg herumspuken. Einer der Wortführer der „neuen Friedensbewegung“, der Journalist Ken Jebsen warnt auf seinen Internet-Seiten auch davor, dass der Dritte Weltkrieg morgen schon losgehen kann, weil Russland natürlich Atomwaffen einsetzen wird, „wenn wir es weiter in die Ecke drängen“. Ein solcher Fall könnte auch eintreten, wenn die USA die ukrainischen Atomkraftwerke bombardieren würden, um dies anschließend Putin in die Schuhe zu schieben. Man erkennt das Muster: Die wüstesten Spekulationen werden mit größtmöglichem Alarm zusammengerührt. Nun ist es mit Sicherheit eine Aufgabe der Friedensbewegung vor gefährlichen und gewaltfördernden Tendenzen in der Internationalen Politik zu warnen; ihre Sache aber nimmt größtmöglichen Schaden, wenn sie in der Öffentlichkeit als wirklichkeitsfremd und abgedreht, wahrgenommen wird.
Es ist anti-aufklärerisch, den jetzigen Konflikt nur als Ergebnis „westlicher Geostrategie“ zu deuten. Als ob die inneren Konflikte in der Ukraine (Maidan und Anti-Maidan) und die Wünsche und Hoffnungen vieler dort lebenden Menschen, die sich nicht völlig grundlos auf „Europa“ richten und eben nicht auf „Russland“, keinerlei Rolle spielen würden! Und man rede sich nicht damit heraus, dass diese Artikulationen der Menschen auf dem Maidan oder anderswo nur das Resultat „westlicher Manipulationsapparate“ gewesen sei. Dass die Menschen in den osteuropäischen Ländern mit Russland gewisse Ängste verbinden, hat eben auch was mit Geschichte und nicht mit Gehirnwäsche zu tun. Auch ihre Bestrebungen, endlich als eigenständige Nationen wahrgenommen zu werden, können nicht einfach übergangen werden. Offensichtlich hat sich auch die politische Führung in Moskau falsche Vorstellungen von der Einstellung der Menschen in der Ukraine gemacht und auf einen gegen Europa/pro Russland gerichteten Volksaufstand zumindest im Osten des Landes gesetzt. Warum sonst, muss jetzt diese ausgebliebene Volkserhebung durch russische Waffen und Urlaubssoldaten ausgeglichen werden?
Es ist anti-aufklärerisch, wenn die geopolitischen Ambitionen Russlands unter Putin und dessen autokratische Herrschaft unterschlagen oder auch nur geflissentlich erwähnt werden. Natürlich wehrt sich die russische Regierung, weil sie sich in die Enge gedrängt fühlt. Und der Widerspruch zur Politik der „westlichen Staaten“ in NATO und EU, die die Schwäche Russlands in selbstgefälliger und ignoranter Weise meinen, ausnutzen zu müssen, ist vollauf berechtigt. Aber dass die Führung eines Landes, dessen Bruttoinlandsprodukt so groß ist wie das Italiens, gleichwohl meint, eine Weltmacht zu sein, möglichst auf Augenhöhe mit den USA, und eine entsprechende Machtpolitik zu exekutieren versucht, das soll kein Problem sein? Im heutigen Russland ist dieses Dilemma – Diskrepanz zwischen Selbstwahrnehmung und tatsächlichem Status – bis heute unaufgearbeitet geblieben. Das Problem wird paranoid überspielt (man lese die jüngsten Reden Putins) und durch einen gesteigerten nationalen Patriotismus überkompensiert. Und das schafft, wenn es sich in völkerrechtswidrigen Gewaltaktionen entlädt, – neben der unverantwortlichen westlichen Eskalationspolitik, genau das Problem, mit dem wir es heute zu tun haben. Schließlich sollte noch gesagt werden: Russischer Nationalismus ist nicht besser als ukrainischer.
Summa summarum: Ohne die nötige kritische Distanz zu einem autokratischen Regime, das seine eigenen Machtinteressen verfolgt, wird die „Friedensbewegung“ nur zu einem Spielball der gegenwärtigen Machtkonflikte, auf ihre Eigenständigkeit aber kommt es gerade an.
Mir sind diejenigen, die als früher Friedensbewegte heute zu scharfer Politik der westlichen Staatenbündnisse gegen die Russische Föderation aufrufen, auch suspekt, genauer gesagt: zuwider. Wer nur die Menschenrechte im Auge hat und die Schrecken kriegerischer Gewalt ausblendet, kann nicht von erhöhter moralischer Warte aus sprechen. Aber wer sich in seiner Politik nur von „geostrategischen“ Einordnungen und Annahmen leiten lässt („Anti-Imperialismus“) und dabei die konkrete Lage der betroffenen Menschen, ihre Bedürfnisse übergeht, kann ebenso wenig als „Weltenretter“ auftreten.
Es ist anti-aufklärerisch, wenn behauptet wird, diese Mobilisierung zum Krieg würde maßgeblich von der deutschen Bundesregierung betrieben.
• Was der Bundesregierung vorzuwerfen ist, dass sie denjenigen in der EU, die meinten die Ukraine vor den Knoten einer Entscheidung „EU vs. Russland“ schieben zu müssen, nicht scharf entgegengetreten ist, ja sogar den Eindruck erweckte, sie trüge diesen Kurs mit. (Es dauerte, bis Merkel diesem Ansatz zumindest deklaratorisch widersprach)
• Was der Bundesregierung vorzuwerfen ist, dass sie die auf einseitiger Schuldzuweisung basierende Sanktionspolitik gegenüber Russland konsequent mitträgt – und damit eine Verhandlungslösung erschwert.
Was der Bundesregierung vorzuwerfen ist, dass sie die spannungsverschärfende militärische Symbolpolitik der NATO widerspruchslos mitträgt.
Andererseits: Es war die Bundesregierung, die sehr früh eine Art konstruktiven Krisenmanagements gegenüber dem eskalierten Konflikt innerhalb der Ukraine und auch im regionalen Maßstab betrieben hat. Dass die erste Initiative Steinmeiers durch eine Art Putsch der rechten Kräfte zunichte gemacht wurde, kann man dem deutschen Außenminister kaum vorwerfen. Auch das Minsker Abkommen, bis heute die einzig tragfähige Grundlage für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen wurde durch die Bundesregierung vermittelt. Es war Steinmeier, der deutlich gemacht hat, dass die Ukraine zwar den NATO-Anschluss wünschen könne, ein Beitritt auf absehbare Zeit aber nicht in Frage komme (hinter vorgehaltener Hand heißt es in Berlin, dass die Ukraine weder der NATO noch der EU in den nächsten zwanzig Jahren beitreten werde – weil die Bedingungen schlicht nicht gegeben seien…)
Fazit: Eine kriegsvorbereitende und militärisch mobilisierende Politik sieht jedenfalls anders aus. Und auch hier komme ich zu dem Schluss: Es reicht, die tatsächliche Politik der Bundesregierung zu kritisieren und auf eine neue, entspannungsfördernde, de-eskalierende Ostpolitik zu drängen - da braucht es keine wirklichkeitsverzerrende Agitation und Propaganda.
Schließlich: Wer die heutige Protestszene sorgfältiger beobachtet, wird um die Beobachtung nicht herumkommen, dass in diesen Milieus die Erzählung einer umfassenden Medienmanipulation besonders populär ist. Sie ist immer mit der Behauptung verknüpft, die je eigene Bewegung würde in großem Stil diffamiert, ja verfolgt. Es folgt der trotzige Ruf, dass es die Mission der Bewegung sei, den herrschenden Lügen entgegenzutreten und überall die Wahrheit zu verkünden.
Die Story kann dabei nicht drastisch genug sein: In der Bundesrepublik sei eine Art McCarthyismus losgebrochen, hören wir in Jebsens TV. Nota bene: In der McCarty-Ära zu Beginn der fünfziger Jahre in den USA verloren in den USA tausende „Staatsfeinde“, „Kommunisten“ „Ostspione“ ihren Job, viele wanderten gar ins Gefängnis, einige kostete die hemmungslose Hetzjagd gar den Kopf. Da stellt sich schon die Frage: In einer solchen Lage sollen wir sein? Geht`s noch? In welchem Lande lebt derjenige, der solches behauptet?
Die Logik dieser Erzählung ist simpel: Weil die Herrschenden nun mal diese Bewegungen fürchteten, müssten diese daher gespalten und unterdrückt werden. Abgesehen davon, dass die Knie der Merkels, der von der Leyens angesichts von 6.000 Friedens-Demonstranten kaum zittern dürften, erfüllt diese Darstellung vor allem eine Funktion: Sie soll gegen Kritik immunisieren, die alten Feindbilder bestätigen und die Gruppe zusammenschweißen. Welch wichtige sozialpsychologische Funktion eine solche Weltsicht hat, kann man gut in den auf den Online-Seiten des Wortführers Ken Jebsen (KenFM) und den dort dokumentierten Montagsdemo-Reden nachfühlen: Ihr seid wichtig, weil ihr verfolgt und unterdrückt werdet, ihr seid was Besonderes, weil ihr das bestehende Manipulationssystem durchschaut. Und weil ihr die Lügen durchschaut habt, werdet Ihr schließlich doch Recht bekommen.
Nur um Missverständnisse zu vermeiden: Der Umkehrschluss gilt nicht, dass es keine Nachrichtenunterdrückung, keine wahrheitsverfälschenden Darstellungen oder auch keine antirussischen Hetz-Reden gäbe, usw. Hier geht es schlicht darum, dass die hermetisch abgeriegelten Weltbilder, die wir in Teilen des neuen Protestmilieus finden, Sektenmentalität fördern und das Streben nach reaktionären Lösungen („Man wird doch wohl noch sagen dürfen“…) begünstigen.
Ich komme nach alledem zum Schluss: Eine Bewegung, die so stark von Irrationalismus (Feindbilder, Stereotype, Hass) geprägt ist, und die sich nach rechts hin öffnet, wird eher Wasser auf die Mühlen der organisierten Rechten sein, (und dies gilt gerade mit Blick auf die besorgniserregenden Entwicklungen um PEGIDA) als einer emanzipatorischen Friedensbewegung zugute kommen. Mein Vorwurf an diejenigen in unseren Reihen, die diese Linie mittragen, ist nicht, dass sie zu Aktionen aufrufen in diesem Winter aufrufen. Das ist bitter nötig. Es geht auch nicht darum, eine strikte Abgrenzung gegenüber neuen und schwierigen Formen des Widerspruchs zur herrschenden Politik zu verfolgen – der Dialog mit Teilen dieser Bewegung kann durchaus sinnvoll sein.
Mein Vorwurf lautet: Wer sich blind gegenüber den Risiken dieser neuen „Allianzbildung“ stellt, darf sich nicht wundern, wenn am Ende diejenigen ernten, die eine im Kern antizivilisatorische Politik verfolgen. Und daher ist es dringend notwendig, die Auseinandersetzung innerhalb der „linken“ Friedensbewegung weiter zu führen, wie heute eine vernunftgeleitete und auf breite Resonanz stoßende Friedensarbeit aussehen könnte. Die Möglichkeiten, breitere Teile der Bevölkerung, und darunter selbst konservative Milieus, zu erreichen, werden nicht zuletzt durch den Aufruf der 60 verdeutlicht. Warum also am rechten Rand fischen, der diese Möglichkeiten geradezu verbaut, weil die Friedensbewegung dadurch eher in Misskredit gerät?
Paul Schäfer war von 2005 bis 2013 Verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag.