Iyad Burnat

Bil’ins Modell des Widerstandes gegen die Apartheid-Mauer

Mein Name ist Iyad Burnat. Ich bin 37 Jahre alt, verheiratet und Vater von vier Kindern . Ich bin der Leiter des "popular comittee" in Bil'in.  Während der ersten Intifada, einem Aufstand des palästinensischen Volkes in den achtziger und neunziger Jahren, wurde ich als Jugendlicher von erst 17 Jahren vom israelischen Militär inhaftiert. Schon damals habe ich mich am gewaltfreien Widerstand beteiligt, da ich immer daran glaubte, dass dies die einzige Möglichkeit ist die militärische Besetzung zu beenden. Doch wie die erste Intifada gezeigt hat, versteht das israelische Militär ein alleiniges Sympathisieren mit solchen Methoden nicht.

Durch die besetzte palästinensische Westbank windet sich ein 700 km langer Sperrwall durch palästinensische Städte und Dörfer, der die Palästinenser von ihren Heimen und ihrem Land trennt. Mit der Erbauung dieser Mauer durch Israel wurden 29 palästinische Städte (ein Gebiet von 216,567 Dunum oder 54141 Acre) von der Westbank isoliert und der israelischen Seite des Sperrwalls einverleibt. Innerhalb des Westjordanlandes verblieben 138 Dörfer, mit einem Gebiet von 554.370 Dunums, ohne freien Zugang zu den Städten, die sich auf der anderen Seite des Sperrwalls befinden. Der Bau dieser Mauer wurde  veranlasst, um 12,6 % des Gesamtgebiets der Westbank, oder 5.661 Quadratkilometer des palästinensischen Landes ungesetzlich zu isolieren und zu zerstückeln.

Diese durch Israel beschlagnahmten palästinensischen Ländereien sind besonders wichtig, weil sie am fruchtbarsten sind und unterirdische Wasserressourcen in großer Zahl bereitstellen. Ferner befindet sich das meiste des konfiszierten Landes im Gebiet um Jerusalem.

Des weiteren wird die Beschlagnahme des palästinensischen Landes durch den Ausbau illegaler israelischer Siedlungen jenseits der "Grünen Linie" noch erschwert.

Palästinensern ist es verboten, in diesen rein jüdischen Siedlungen zu leben und die Straßen zu benutzen, die sie miteinander verbinden. Barrieren und Kontrollpunkte teilen weiteres palästinensisches Land in Inseln und Bezirke, demzufolge die Möglichkeit einen benachbarten palästinensischen Staat zu gründen mit der Wirklichkeit unvereinbar scheint. Diese Gegebenheiten haben einer starken Bewegung des populären Widerstands den Weg geebnet. Das ist das, was wir getan haben.

Bil'in, westlich von Ramallah im zentralen Westjordanland gelegen, ist ein kleines palästinensisches Dorf, das von Tälern und Bergen umgeben ist und zwischen Jaffa und Jerusalem gelegen ist.

Bil'in verfügt über eine Population von 1.800 Einwohnern. Viele Menschen dort arbeiten in der Landwirtschaft. Die Leute von Bil'in sind gute, einfache Leute, die Freiheit und Frieden begrüßen und jede Form von Ungerechtigkeit oder Unterdrückung ablehnen.

Im Laufe der Jahre diente die Beschlagnahme von zu Bil'in gehörenden Ländereien durch Israel dem Zweck, illegale Siedlungen zu errichten. In den 1980er Jahren wurde die Siedlung Mitat Unze auf dem Land erbaut, das den Bewohnern von Bil'in gehört. 1990 beschlagnahmte Israel mehr Land von Bil'in, um eine weitere Siedlung, genannt Kiryat Sefer, zu errichten. In jüngster Zeit, im Jahre 2002, begann Israel mit dem Bau der Siedlung Mitet yaaho auf weiterem Land, das den Dorfbewohnern von Bil'in  gestohlen wurde

Im April 2004 gab die israelische Regierung ihre Absicht bekannt, den Sperrwall auf weiterem zum Dorf gehörigen Land zu errichten. Schnell bildeten die Dorfbewohner das "Popular Committee Against the Wall and its Settlements" (PCAWS).

Das PCAWS vertritt, in Koordination mit Rechtsanwälten und Rechtsberatern, die Rechte der Bürger von Bil'in, deren Land für die Errichtung illegaler Siedlungen und dem Bau des Sperrwalls gestohlen wurde. Dieses Komitee bereitet mit Unterstützung israelischer und internationaler Aktivisten tägliche und wöchentliche Aktivitäten vor.

Militärische Planierraupen begannen mit dem Bau der Mauer am 20.02.2005. Der Sperrwall schneidet sich durch 2 Kilometer zu Bil'in gehörigem Land, und ist 5 Kilometer östlich der "Grünen Linie" gelegen. Durch diesen bizarren Verlauf  wird deutlich, dass es hierbei nicht um ein Vorgehen aus Gründen der Sicherheit handelt, wie Israel regelmäßig behauptet, sondern um Diebstahl des Landes und den Bau von Siedlungen.

Um diesen illegalen Tätigkeiten den Weg zu ebnen, ließ Israel fast 1.000 Olivenbäume fällen und zerstören, die den örtlichen Bauern gehörten; man bedenke, dass die Olivenbäume, die auf 2300 Dunum des Landes westlich des Sperrwalls gelegen waren, Bil'ins Hauptquelle des Lebensunterhalts darstellten. Weiteres konfisziertes Land diente dem Korn-und Gemüseanbau, sowie als Weide für den Viehbestand.

Es ist keine Überraschung, dass der Sperrwall die Wirtschaftskraft des Dorfes bedeutsam geschwächt hat. Das verblieben Land auf der Ostseite desWalls, ist größtenteils das bebaute Wohngebiet.

Diese Wirklichkeit hat die Dorfbewohner genötigt, Land in Nachbardörfern zu kaufen, oder nach Ramallah, in andere arabische Länder oder gar weiter ins Ausland abzuwandern (so genannte "freiwillige Auswanderung"). Für die Familien, die in Bil'in leben, ist es eine Wahl, entweder in den armseligen Bedingungen tiefster Armut zu leben, die die militärische Besatzung geschaffen hat, oder freiwillig auszuwandern.

Da die Dorfbewohner beide Optionen zurückwiesen, blieb Ihnen als einzige Möglichkeit der populäre Widerstand, um Zugang und Kontrolle über ihr Land wiederzugewinnen, welche Hürden auch immer kommen mögen. Die Einwohner von Bil'in sind sie bereit so lange zu arbeiten, bis sie den Abriss des Sperrwalls und die Auflösung der illegalen israelischen Siedlungen auf ihrem Land erreichen.

Der Kampf:

Vorbereitungsphase

Ich began diesen Weg mit der Errichtung des Volkskommitees, weches Teil des Nationalen Komitees gegen den Sperrwall ist.

Wir arbeiteten eng mit internationalen Friedensaktivisten zusammen, besonders mit Aktivisten der Internationalen Solidaritätsbewegung (Intenational Solidarity Movement), um das Gebiet zu erkunden und die für uns verfügbaren Möglichkeiten zu erforschen.

Zusätzlich zu den Treffen mit Rechtsanwälten zur Klärung der Rechtslage des Sperrwalls in Bil'in koordinierten wir uns auch mit Mitgliedern der PNA und erklärten ihnen die Gefahren, die von der Mauer ausgehen, und ermunterten sie dazu, schnell im Rahmen ihrer politischen Mögichkeiten zu handeln, bevor der Baubeginn, und die damit einhergehende Zerstörung des Landes, festgelegt wird.

Der Anfang

Am 20.02.2005 begannen Bulldozer mit dem Bau der Mauer in Bil'in. Auf dieses illegale Vorgehen antwortete das Dorf schnell mit öffentlichen Demonstrationen, an denen sich alle Mitglieder der Dorfgesellschaft, einschließlich Jugendliche, Frauen, und Kinder, beteiligten

Die Frauen in Bil'in begannen tägliche Treffen im Senat des Dorfes durchzuführen, um ihre Teilnahme am Widerstand besser organisieren zu können. Wöchentliche Protestmärsche wurden freitags, sowie an einem anderen Tag (häufig am Sonntag) abgehalten. Weiterhin fanden auch an anderen Nationalfeiertagen wie Frauentag oder Kindertag solche Proteste statt.

Kreativität

Der populäre Widerstand in Bil'in hat viele Formen angenommen. Unsere wöchentlichen Demonstrationen vor dem Sperrwall schließen die Verwendung von Trommeln, Lautsprechern, nachgesteten Verhaftungsszenen, Mustersärge, Grabsteine, Klebeband, Spiegel, eine Schlange, ein Modell der Mauer, sowie eine große palästinensische Fahne ein.

Außerdem wurden durch die Einwohner von Bil'in Charaktere aus dem Film Avatar dargestellt und die Persönlichkeiten Gandhi, Martin Luther King II als auch Nelson Mandela porträtiert.

Wir wählten diese verschiedenen Charaktere, um Aufmerksamkeit auf ihre herausragende Arbeit auf dem Feld der Menschenrechte und Bürgerrechte zu lenken. Im Fall von Mandela porträtierten wir ihn wegen seines Beharrens auf den Rechten der Palästinenser und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlage infolge des Mauerbaus.

Bei einer anderen Gelegenheit setzten sich die Einwohner Bil'ins, die, wie vorher erwähnt, größtenteils einfache Bauern sind, in verschlossene Tonnen (Fässern?) vor den Sperrwall auf ihr gestohlenens Land. Es war ein interessantes Paradox, bei dem die israelischen Besetzungskräfte die hässlichsten und gewaltsamsten Mittel der Unterdrückung anwendeten, um die Palästinenser aus den Tonnen zu entfernen, während diese friedlich gegen die Beschlagnahme und den Diebstahl ihres Landes protestierten. 

Trotz der andauernden Unterdrückung haben diese kreativen Formen des Protests dazu beigetragen,  die Anwesenheit und die Beharrlichkeit internationaler Solidaritätsaktivisten zu erhöhen und ihre Beziehung mit der örtlichen Gemeinschaft in Bil'in zu stärken. Die Unterstützung israelischer und internationaler Aktivisten hat dem Protest des Dorfes zudem zu einer breiten Aufmerksamkeit in den Medien und zu einer stärkeren Berichterstattung verholfen.

Der Kampf auf der aderen Seite der Mauer

Die israelischen Solidaritätsaktivisten haben zudem eine wichtige Rolle im Aufdecken illegaler Fälle von Fälschungsgruppen wie dem Selbstverwaltungsrat der illegalen Siedlung (Modi'in Illit), Baugesellschaften (Grüner Park) und (Heftsiba) und einigen Mitarbeitern der Zivilbehörde des Militärs gespielt.

Jene Personen begannen 2002-2003 mit dem Bau der illegalen Siedlung Matityahu East, ohne Genehmigung durch ihre Regierung, welchen zur gleichen Zeit in die Städte des Westjordanlands einfiel; die Tatsache, dass die palästinensischen Bauern Angst hatten, sich dem Baugeschehen zu nähern , tat ihr weiteres.

Die Gemeinschaft in Bil'in antwortete auf die Geschehnisse mit dem Bau transportabler Häuser, welche sie in der und in der Nähe ihres beschlagnahmten Landes, nahe der kürzlich erbauten illegalen Siedlung  errichteten. Interessanterweise wird den palästinensischen Eigentümern des Landes nicht erlaubt auf  ihrem Land zu leben und sie sind gezwungen zuzusehen, wie es für den Bau jüdischer Siedlungen verwendet wird.

Zu eine der größten Anstrengungen wurde für die Bauern die Fortführung der Arbeit auf ihrem Land, nach dem Bau des Sperrwalls. Das Volkskomitee hiet die Einwohner dazu an, Präsenz auf ihrem Land zu zeigen und die Arbeit betmöglich zu erledigen.

Der Arbeit stehen einige erhebliche Hindernisse im Weg. Die Mauer wurde im April 2006 vollendet. Seitdem stellt ein von israelischen Militärkräften besetztes Tor den einzigen Zugang zum dahintergelegen Land dar. Der Durchgang durch diese militärische Schranke hat von den palästinensichen Eigentümern des Landes verlangt, sich militärischen Sperrzeiten zu unterstellen, sich um durch Israel ausgegebene Erlaubnisse zu bewerben, um erst auf das Land zuzugreifen zu können und bei dem Versuch zu passieren  willkürlichen Ablehnungen ausgesetzt zu sein.

Ergebnisse des Widerstands von Bil'in

1. Am 04.09.2007 entschied der oberste Gerichtshof in Israel, dass die Errichtung der Mauer illegal sei, da sie nicht der von der israelischen Armee angeführten  Rechtfertigung entspreche (Bau zu "Sicherheitszwecken").

Das Gericht empfahl der israelischen Armee die Wand abzureißen und sie um eine Länge von 500 Metern oder etwa 1000 Dunum zurückzuversetzen, um die negative Wirkung zu vermindern, die sie auf die einheimische Bevölkerung ausübe. In der Realität wurde der Sperrwall um weniger als die Hälfte der empfohlenen Länge verrückt. Dieser Erfolg, wenn gleich auch kein Endsieg, hält unsere Hoffnung aufrecht unsere Anstrengungen fortzusetzen, um uns einer gerechten Entscheidung zu dieser Landbeschlagnahme näher zu bringen.

2. Die militärische Torpassage  bleibt tagsüber geöffnet und wird um jene erforderlichen Stunden erhöht.

3. Abriss von einigen Häusern in der Siedlung und die Rückgabe einiger Landstücke innerhalb der Siedlung und seiner Umgebung an seine palästinensischen Eigentümer.

4. Bil'in ist zum Symbol des populären Widerstands gegen den israelischen Sperrwall und die illegalen Sedlungen, von nationaler und internationaler Tragweite geworden. Das Dorf sieht sich im Fokus der internationalen Solidarität.

5. Der Widerstand des Dorfes hat die Gemeinschaft gegen die israelische Besetzung vereinigt und zu einer Überwindung vieler Probleme zwischen verschiedenen palästinensischen politisch-konkurrierenden Gruppen geführt.

6. Bil'in ist eine touristischen Ortschaft - national und international - geworden.

7. Das Vokskomitee Gegen den Sperrwall gewann vier lokale / internationale Preise:

1. Palestine Prize for Excellence and Creativity Award discretionary nominal

2. Yasser Arafat Award for achievement and worth $25,000, 2007

3 Carl von Ossietzky Preis aus Deutschland, 2008

4. Award for innovation from the Arab Thought Foundation in Kuwait and worth 50,000 , 2009.

8. Arbeit, Vorträge, Werkstätten und internationale Konferenzen zu Widerstand gegen die militärische Besetzung, sowie gegen den Sperrwall und die Siedlungen wurden abgehalten, um die Erfahrung von Bil'in zu verbreiten.

9. Am 26.05.2008 stoppte Ashraf Ibrahim Abu-Rahma vorübergehend die Expansion einer Siedlung durch Blockieren eines Krans, der zum Ausbau der Siedlung verwendet wurde

Elemente, die zum Erfolg des Experimentes beitrugen:

1. aufgeklärte junge Führung, darauf aus, die nationale Einheit zu wahren.

2. Israelische und internationale Solidaritätsaktivisten

3. Konsistenz und Kontinuität

4. Kreativität und Neuerung in Ideen für den Widerstand

5. Die Bil'in Website und aktuelle Information für die Welt

Militärische Antwort durch Israel

Während unserer Protesten trafen wir durchweg auf Budozer, die an der Mauer im Einsatz sind, die Armee verwendet Stöcke, mit denen sie auf die Demonstranten einschlagen, desweiteren Tränengas, ohrenbetäubende Lärmgranaten und Gummigeschosse, mit denen auf die Zivilprotestierenden geschossen wird.

Die israelische Armee hat mit neuen Waffen experimentiert. Hunderte von Teilnehmern wurden bereits verletzt, viele mehrmals.

Die israelische Armee wendet bei den Dorfbewohnern Kollektivbestrafungen an, indem sie Barrikaden in der Stadt errichtet, um Arbeiter davon abzuhalten, ihren Tätigkeiten auf der anderen Seite des Sperrwalls nachzugehen und Bürger davon abzuhalten, Erlaubnisse zu erhalten, Israel zu passieren . Sperrzeiten werden regelmäßig, besonders aber an den Freitagen, auferlegt, um internationale Friedensaktivisten und die Presse davon abzuhalten, das Dorf zu erreichen.

Das israelische Militär darf Bil'in zu einer "geschlossenen militärischen Zone" erklären und den Einwohnern befehlen, an Freitagen, während der Demonstartion, in ihren Häusern zu bleiben oder für ihre Teilnahme am populären Widerstand verhaftet zu werden. Außerdem versuchte die Armee verdeckte Ermitter unter die Demonstranten zu schleusen, um so viele Informationen wie möglich zu erhalten, die den übermäßigen Waffeneinsatz gegen die Protestierenden rechtfertigen könne .

Desweiteren ist das Dorf Ziel nächtlicher Überfällen, bei denen das israelische Militär Angst und Panik unter den Dorfbewohnern schürt durch z.B. das Werfen von Lärmgranaten, durch das Stürmen von Häusern und das Inhaftieren Aller, einschließlich Kinder unter 16 Jahren, die an den wöchentlichen Demonstrationen des Dorfes teinehmen.

Der Preis, den das Dorf Bil'in zu zahen hat

1. Israelischer Militärbeschuss tötete am 17.04.209 Bassem Abu Rahma. Abu Rahma war ein ortsansässiger Mitorganisator der wöchentlichen Proteste gegen den Sperrwall in Bil'in. Er starb, nachdem eine von einem israelischen Soldaten angezündete Tränengas-Bombe ihn in die Brust traf.

2. Im Laufe des sechsjährigen Kampfs gegen die israelische Mauer in Bil'in sind mindestens 1200 Menschen durch  Armeefeuer verletzt worden; 10 davon schwer.

3. 85 Dorfbewohner wurden durch israelisches Militär festgenommen, einschließlich Mitglieder des Volkskomittes und deren Kinder.

4. Das Einbrechen in Häuser und Nachtüberfälle durch das israelische Militär hat bei den Kindern des Dorfes viele psychologische Probleme verursacht.

Iyad Burnat ist Autor des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de. Seine Beiträge sehen Sie hier


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